Das besondere Boot: Scalar 40 – das Beste aus beiden Welten | YACHT

2023-02-16 16:23:15 By : Mr. Qiang Wang

Pflegeleichtes GFK trifft Bootsbaukunst in Holz. Dazu sinnvolle Dinge, die schon verloren schienen. Ist die seit bald 20 Jahren gebaute Scalar 40 das perfekte Serienboot?

Die deutsche Szene der Serienwerften ist groß und vielfältig. Neben Global Playern wie der Hansegroup und Bavaria Yachtbau, die mitsamt der Beneteau-Gruppe und dem Verbund von Dufour und Fountaine Pajot aus Frankreich zu den Top Vier der großen Werften zählen, bereichern hierzulande deutlich kleinere und spezialisierte Betriebe die Branche, Manufakturen wie Sirius und Bicker etwa. Und dann gibt es noch Henningsen & Steckmest, ein altgedientes Juwel der Szene. 1958 in Kappeln-Grauhöft am beschaulichen Ostsee-Meeresarm Schlei gegründet, fertigen dort ein gutes Dutzend Bootsbauer, Tischler und Schlosser seit 1973 neben wenigen Einzelbauten wie zuletzt dem Doppelender „Gaudeamus“ die Scalar-Reihe.

Die grundsoliden, hochqualitativen und seegängigen Yachten, schon vor Jahrzehnten vom Senior-Chef Rolf Steckmest konstruiert, werden nur höchst sporadisch geordert. Ja, es gibt Jahre, da geht in Grauhöft kein einziges neues Boot vom Stapel. Die beiden Steckmest-Söhne Hauke und Malte, die Chefs der dritten Generation, sind mit dem Service der Kundenboote, Winterlager, Umbauten, Refits und dem Hafenbetrieb aber ohnehin gut ausgelastet. „Es ginge dem Betrieb ohne die Scalare sicherlich ebenso gut“, formuliert Senior-Chef Rolf Steckmest.

Dennoch: Neubauten bleiben die bootsbauerische Herausforderung, der Antrieb: „Ohne die geht’s nicht.“ Das kleine Serienprogramm, dessen Name bezeichnenderweise von einem auch Segelflosser genannten Zierfisch aus Südamerika herrührt, besteht im Wesentlichen aus der 34, die zuletzt 2018 vom Stapel lief, und dem Flaggschiff, der Scalar 40. Die Konstruktion von Georg Nissen ist zwar das jüngste Schiff der Flotte, aber auch schon 18 Jahre alt. Und von dem Typ ist jetzt erst die Baunummer 4 in Arbeit. Damit ist die Scalar 40 die dienstälteste Hochseeserienyacht Deutschlands.

Sie brauchen ihre Zeit an der Schlei, und sie nehmen sie sich, Boote scheinen dort zu reifen wie ein teurer Single Malt in einer schottischen Familiendestille. Rund 3.000 Arbeitsstunden verschlingt das Flaggschiff nur für das aufwändige Deck beispielsweise, eine gleichgroße Hanse ist in knapp 700 Stunden gebaut – komplett. Deck und Cockpit sind denn auch das größte Alleinstellungsmerkmal der Scalar, es wird in traditioneller Bauweise komplett aus Holz gefertigt (siehe unten), aus Mahagoni, Abachi, Teak und Bootsbausperrholz. Wobei sich die Arbeitsstunden für eine Scalar 40 nur bedingt mit den Aufwendungen anderer Werften vergleichen lassen.

Die Fertigungstiefe von Henningsen & Steckmest ist enorm. Hier werden keine vorgefertigten Hölzer angeliefert, sondern ganze Baumstämme. Beginnend bei der geschnittenen Bohle oder dem Furnierblatt, fertigen sie eine Vielzahl von Rohlingen für die Decksbalken, Aufbauseiten, Aufbauvorderfront, Balkweger, Schlingen, Cockpitrundungen und -wände, Sülldeckel und mehr. Die Rohlinge werden dann fein bearbeitet, Rundungen angefräst, Schmiegen und Schäftungen angesetzt. Alle Teile müssen an- und eingepasst und ausgestrakt werden, bis alles sitzt und passt. Hauke Steckmest: „Und das bei jeder Baunummer aufs Neue!“ Ein Holzdeck sei ein nicht reproduzierbares Einzelstück, kein Serienbau, so der Co-Chef.

Die Arbeiten hochqualifizierter Fachleute in großer Stundenzahl schlagen sich im Preis nieder: Ab 550.000 Euro kostet eine Scalar 40 heute, mehr als das Doppelte einer gleich großen Serienyacht aus Massenfertigung. Und das, obwohl das Holzdeck „keinen echten funktionalen Vorteil bietet“, so Steckmest. Aber die traditionelle Optik, das Flair, das sei mit Kunststoff nicht herstellbar, dies würde jeder der Eigner bestätigen, die sich unisono über die individuelle Seele ihrer Yachten freuen.

Ein weiteres von den Eignern geschätztes und genutztes Plus der Werft ist die Möglichkeit individueller Anpassungen, bei der sich sogar die Schotten bis zu zehn Zentimeter verschieben lassen. Dadurch werden größere Kojen, längere Salonsofas oder voluminösere Nasszellen möglich. Die Aufbaufenster lassen sich dabei individuell nach Wunsch platzieren, ein kleiner technischer Vorteil der Holzbaumethode, während bei Seriendecks die Einbaupositionen zumeist festgelegt sind und nur aufwändig per umprogrammierter Fräse und weiteren Maßnahmen modifiziert werden können. Individualbau bedeutet mehr als nur größere oder kleinere Kojen, achtern sind große Backskisten statt Kojen möglich oder wie im Fall der Baunummer 3 Stockbetten statt Doppelkojen. Und natürlich andere Ausbauhölzer und Beschlagsserien oder Bordtechnik. Nur als Beispiele.

Die Rümpfe bauen sie ebenfalls selbst. Sie werden mit Isophthalsäureharz in den äußeren Schichten handlaminiert, im Unterwasserbereich aus Vollmaterial, darüber als Sandwichkonstruktion. Traditioneller Machart folgend, wird der Flossenkiel an einen nach achtern abgestuften Stummel gebolzt. In diesem, der harmonisch den Schwung des S-Spantes vollendet, ist ein Bilgenbrunnen ausgeführt, wie man ihn von hölzernen Klassikern kennt. Großes Augenmerk legen die Bootsbauer von der Schlei auch auf die Kielaufhängung mit sehr großen Unterlegplatten für die Kielbolzen, einer starken Konstruktion der Bodenwrangen, die mit ausgeprägten Winkellaminaten beidseitig im Rumpf verankert werden, und Schotten, die ebenfalls zu beiden Seiten mit Winkellaminaten fixiert sind.

Aber es sind immer wieder die Holzarbeiten, die Henningsen & Steckmest in besonderem Maße auszeichnen. Auf das 12 Millimeter dicke Sperrholzdeck werden 10 Millimeter starke Teakstäbe verlegt, die eine Fugentiefe in voller Plankenstärke aufweisen, was für eine große Lebensdauer steht, da das Deck mehrfach geschliffen und so refitted werden kann. Die Decksoberfläche schließt mit einer hölzernen Fußreling ab und wird über mehrere Drainageschläuche entwässert, die knapp über der Wasserlinie austreten, was unschöne Regenstreifen auf der Außenhaut verhindert.

Klar, dass derart viel Liebe zur Handwerkskunst, zu praktischen Lösungen und zu traditionellen bootsbauerischen Merkmalen nicht am Niedergang haltmacht. Der Ausbau in Khaya-Mahagoni erfolgt in klassischen Rahmenfertigung; Schrankfronten und Türen sind massiv oder mit Schaumkern in gewichtssparender Sandwichbauweise hergestellt, und Schlingerleisten an Tischen oder Arbeitsflächen sowie einige Umleimer sind lamelliert. Passend zur handwerklichen Perfektion und Präzision ist das Beibehalten bewährter Merkmale, die aus der Praxis stammen, aber im modernen Serienbau zuweilen verloren gehen. Das fängt mit besagter Bilge an, dann lassen sich die Rückenlehnen der Salonkojen hochklappen, das schafft breitere Kojen. Offene Schapps haben herausnehmbare Schlingerleisten. Die Türrahmen sind im Trittbereich durch Niro-Bleche geschützt, die Bordwände mit ebenso klimatisierenden wie kleidsamen Wegerungen ausgestattet. Im Motorraum steht gesichert ein Kasten mit Ersatzteilen und Werkzeug bereit.

Und die machbare Individualität setzt sich bis in die Schränke fort: Deren Inneneinrichtung und Abmessungen werden an Geschirr und Gläser der Eigner angepasst. Fast selbstverständlich, dass die Tanks aus rostfreiem Stahl bestehen oder im Fall des Wassertanks aus GFK gefertigt und formschlüssig in den Rumpf integriert sind, die Servicebatterien immerhin 300 Amperestunden mitbringen und eine Heizung zum Standard gehört.

Die schönen Details setzen sich an Deck fort, konsequent und durchdacht. Die lamellierte, 1,30 Meter lange Pinne endet in einem 24-kantigen geometrischen Körper, einem sogenannten Kuboktaeder – sieht gut aus und ist griffig. Statt Pinne ist natürlich eine Radsteuerung möglich. Umgeben von einem umlaufenden hohen Süll (mit Schwalbennestern, hurra!) sind die Duchten großzügige 2,60 Meter lang. Der Motor lässt sich von oben über eine Klappe im Cockpitboden erreichen. Die Backskiste ist maßgefertigt, der Deckel nimmt die Steckschotten auf, Regale genormte Eurostapelbehälter (das sind die grauen, vielfach erhältlichen). Das Bugstrahlruder lässt sich mit Fußknöpfen bedienen, man will ja gut im Stehen sehen, was vorn passiert. Die Holzarbeiten: eine Wonne für Augen und Hände. Die Komponenten: oberstes Regal. Die Instrumente: am Niedergang gut ables- und bedienbar.

Ach ja: Segeln tut sie auch. Und wie. Dank des recht langen Kiels und dem skeggeführten großflächigen Ruderblatt spurt sie treu. Schnell kratzt sie auch an der Kreuz an den sieben Knoten, schafft kleine Wendewinkel, zeigt sich agil in Manövern und reagiert willig. Guter Segeltrimm vorausgesetzt, Fahrlässigkeiten rächt sie schon mal mit mehr Ruderdruck, als der Performance zuträglich ist, mit der Pinne ist das schnell zu spüren. Ja, die Pinne, warum ist sie nur noch so selten zu finden? Günstiger im Einbau, weniger Wartung und Problempotenzial, ein direktes Steuergefühl, von der Kante aus per Ausleger ebenfalls gut zu führen, und obendrein beschert der Steuerstock dem Rudergänger einen großen Wirkungskreis im Cockpit, wie sich auf der Scalar wunderbar beweist.

Ein Leichtgewicht ist sie nicht, auch das ist spürbar. Den 9,3 Tonnen Gewicht stehen jedoch 93 Quadratmeter Segelfläche gegenüber, wenn die 135-prozentige Genua gewählt wird. Das bedeutet eine hohe Segeltragezahl von 4,6, was die Scalar 40 als recht sportliches Boot klassifiziert. Andere Kennzahlen künden von viel Stabilität: 37 Prozent Ballastanteil und ein Tiefgang von 2,10 Meter sind solide Werte. Und das in Schönheit: Mit dem leichten Deckssprung, dem gemäßigten Yachtheck, dem flachen Aufbau und dem schrägen Steven ist sie zeitlos schön, vor bald 20 Jahren und auch heute noch. Ihr mögen moderne Errungenschaften fehlen wie Innenraummaximierung, riesiges Cockpit, Badeplattform. Sie ist dafür ein moderner Klassiker, mehr Holzyacht als GFK-Schiff – individuell gestaltbar und hochqualitativ wie kaum eine andere Serienyacht.

GFK-Rümpfe mit Holzdecks in Serie fertigen nur sehr wenige Werften, neben Henningsen & Steckmest gibt es zwei weitere deutsche: die Bootswerft Funger in Kempen und die Bootswerft Bicker in Ahlen. In Kappeln schrauben, verbolzen und kleben Bootsbauer die ausgeklinkten Decksbalken unter den breiten Rumpfflansch. Auf die ausgestrakten Decksbalken wird mit Epoxid das Sperrholzdeck aufgeklebt. Die Seitenwände des Aufbaus werden in drei Schichten aus Mahagoni lamelliert, innen und außen aus je 10 Millimeter starken Längslagen und dazwischen eine 2,5 Millimeter starke Querlage mit vertikaler Maserung.

Die Außenlagen des Aufbaus und auch des Sülls bestehen aus durchgängigem Holz. Die Aufbauseiten werden von unten mit der Sperrholzlage verschraubt und mit Epoxidharz aufgeklebt. Die Sperrholzflächen werden mit Teak belegt. Auf den Decksbalken des Aufbaus, die in den Aufbau und den Balkweger eingeklinkt werden, wird ein Sperrholzdeck aus zwei Lagen aufgeklebt, das dann eine Schicht mit Gewebe und Epoxid erhält und lackiert wird. Die Fertigung folgt traditioneller Bootsbaukunst, nutzt aber mit Epoxid den perfekten Kleber und mit der Formverleimung ein modernes Verfahren.

Weitere Infos unter scalaryachten.de

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